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100 Jahre Max Schorr

im Glauben kühn

 

 

 

….ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben.                                                                                                                                                                                     Römer 1, 16

 

  

Du, liebe Gemeinde in Fischbach,

 

 

so hätte Pfarrer Max Schorr wohl seine Predigt begonnen. Das „Du“ galt jedem persönlich. Denn davon war er überzeugt beim Predigen, „was nicht „per Du“ geht, geht „perdue“. So möchte es auch jetzt sein, wenn ich sage „Du, liebes Gemeindeglied“, Ihr, meine Lieben aus unserer Familie.

Wir sind ja hier im Gottesdienst versammelt um, uns im Glauben zu stärken, christliches Handeln zu fördern und uns im Glauben sprachfähig zu machen. „Er mache uns im Glauben kühn und in der Liebe rein…“

Darauf können wir uns schon ansprechen lassen, uns des Evangeliums nicht zu schämen. Denn so selbstverständlich ist das heutzutage nicht, dass Menschen Farbe bekennen, wenn es um den Glauben geht. In einer Zeit, die fast alles beliebig stellt, werden Eindeutigkeit und Klarheit im Glauben oft schief angesehen. Gleichzeitig sehnen sich Menschen nach Klarheit und glaubwürdig gelebter Lebenshaltung.

Es ist heutzutage einer besonderen Zeitungsmeldung wert, wenn alle Minister der neuen Bundesregierung ihren Amtseid mit dem Hinweis „so wahr mir Gott helfe“ leisten. Oder auch bei Michael Schuhmachers Unfall zu melden, „ich bete für Dich“ twittern Niki Lauda, Felipe Massa und viele andere. Mir geht es jedenfalls so, dass es gut tut, wenn prominente Persönlichkeiten, sich eben ihres Glaubens nicht schämen und Farbe bekennen. Es tut gu, weil für einen Moment aufscheint, was nicht immer öffentlich wahrgenommen wird, dass es auf der Welt eine ganz große Gottesfamilie gibt. Da denke ich wieder an Max und Hannchen Schorr.

Er hat sich nicht geschämt trotz mancher Gewissenslast, Soldat zu sein und Pfarrer, seinen Kameraden Gottesdienste im Feld zu halten;er hat sich nicht geschämt, hier in Fischbach den amerikanischen Panzern mit Glaubensmut entgegenzutreten;er hat sich im Glauben nicht geschämt, im Lager in Langwasser, den von den Nazis internierten Gefangenen das Evangelium zu bringen und später nach Kriegsende ebenso den Schergen der SS in ihrer Schuld;er hat sich als Pfarrer hier des Evangeliums nicht geschämt angesichts der verzweifelten Fragen der Eltern, wenn er im Krieg ein Kindchen getauft hatte und es später beerdigen musste, weil es mit zwei Jahren bei einem der verheerenden Bombenangriffe auf Fischbach in seinem Bettchen ums Leben gekommen war. Auch nicht geschämt, das Evangelium zu vertreten, als es galt, in der Predigt plündernden Fischbachern Einhalt zu gebieten. Hannchen hat sich des Evangeliums nicht geschäm,t als sie voller Glaubensmut mit einem werdenden Vater in christlicher Nächstenliebe durch den Bombenhagel eilte, um seiner Frau bei der Entbindung zu helfen.

 

Wenn ich das erzähle, höre ich jedoch buchstäblich die Worte von Pfarrer Max Schorr in meinen Ohren, wie sie in fast jeder Predigt zu hören waren. „Wir wollen jetzt nicht von uns Menschen reden, wir wollen hören, was uns der HERR zu sagen hat“, das ist größer als des Menschen Sinnen und Trachten.

Genau das ist der Punkt. Denn Glaube, wie immer er in uns ist, wie immer wir ihn leben können, oder auch nicht, immer ist es erst der zweite Schritt. Reaktion auf Gottes Handeln. Glaube ist immer Reaktion, Unglaube aber auch, Schämen auch. Schämen ist ein Symptom.

 

Ja, wann schämen wir uns eigentlich? Kannst Du Dich an eine Situation erinnern, in der Du Dich geschämt hast? Schämen hat dabei mit mir und der Öffentlichkeit zu tun, in der ich stehe.

 

Da schäme ich mich, weil ich meiner Sache nicht sicher bin.

Da schäme ich mich, weil ich etwas falsch gemacht habe, egal ob ich ertappt worden bin oder nicht.

Da schäme ich mich, weil ich nicht dazu stehen mag, wie ich bin.

Da schäme ich mich schon in vorauseilendem Gehorsam und verbiege mich womöglich, weil ich denke, andere lachen über mich.

Da schäme ich mich, weil ich Konsequenzen fürchte.

Da schäme ich mich, zu jemandem zu stehen, der ins Abseits geraten ist, um selbst nicht auch in der Ecke zu stehen.

 

Nur ein paar Beispiele. Kennst Du solche Gefühle aus Deinem Alltag? Unser Glaube leidet auch unter solchen Gedanken, Gefühlen, Befürchtungen und Haltungen.

 

Glaube ist in unserer Gesellschaft zwar äußerlich anerkannt, aber doch auch nicht mehr. Das merkt man sofort, wenn Menschen etwa mit der Radikalität der Bergpredigt auftreten, sich dem Mainstream verweigern und sofort anecken oder schief angesehen werden. Da kommt es einem dann komisch vor, oder übertrieben, wenn jemand über Standardformeln hinaus vom Glauben spricht. Und gleichzeitig hört man als öffentlichen Gruß mehr „Hallo“ als „Grüß Gott“. Es kommt einem dann komisch vor, wenn jemand anbietet für einen zu beten und es womöglich sofort tut, bei der Hand nimmt und betet, im Auto etwa und nicht im Gotteshaus.

 

Ich fühle mich echt beschämt, wenn ich sehe, mit welcher Selbstverständlichkeit wir Gebetsworte verwenden, hier in der Kirche und wie spröde es werden kann, wenn es gilt, im Alltag die Hände zu falten und ein Gebet zu sprechen, ohne den Schutzraum der Kirche, der Familie oder vertrauter Menschen gleicher Gesinnung. Allenfalls große Unglücke führen wieder zu einem gewissen gesellschaftlichen Konsens: „Jetzt hilft nur noch beten!“ Ich bewundere Muslime, mit welcher Selbstverständlich-keit und welchem Stolz sie ihren Glauben leben.

 

All diese Beobachtungen führen zu der entscheidenden Frage, warum das so ist, warum wir so empfinden, uns so verhalten, so verstullerz, g’schamig im Glauben.

 

Die Antwort ist die, es gibt nicht nur eine Scham nach außen. Es gibt auch eine Scham nach innen. Sie ist versteckt in uns und wird auch längst nicht mehr als Scham empfunden. Jesus hat dafür den Namen Kleinglauben oder gar Unglauben, sie markieren eine ganze Bandbreite von christlicher Lebens- und Glaubensun-sicherheit. In der biblischen Geschichte von der Stillung des Sturmes haben wir ein Beispiel. Die Jünger fahren mit Jesus im Boot über den See Genezareth. Obwohl der schlafende Jesus bei ihnen ist, von dem sie soviel wissen und Kraft und Halt und große Zeichen erfahren haben, fürchten sie sich: Kleinglauben nennt Jesus das. Sie haben einfach Angst, dass ER ihnen letztlich doch nicht helfen kann.

 

Sie trauen der Gotteskraft nichts zu, oder nicht genug zu, die ihnen in der Botschaft des Evangeliums begegnet ist. Sind sie uns darin nicht recht ähnlich? Haben wir nicht selbst beim ernsten Beten manchmal den gemeinen Hintergedanken, der den Zweifel ins Herz streut: „ob es hilft?“ Und natürlich könnte jeder auch von Erfahrungen berichten, gebetet zu haben, um diese Kraft, um Kraft für andere, wieder gesund zu werden, zum Beispiel. Und es ist nicht so gekommen, wie erbeten. Solche Erfahrungen schieben sich oft in den Vordergrund und überlagern die Tausend anderen, in denen wir eben bewahrt, geführt, wunderbar gerettet und geheimnisvoll mit Kraft ausgestattet wurden, vielleicht ohne uns groß Gedanken darüber zu machen.

 

Mich hat sehr bewegt, die Abschiedspredigt zu lesen, die Pfarrer Max Schorr hier seiner Fischbacher Gemeinde im Jahre 1953 gehalten hat. Eine Passage haben wir vorhin gehört. Er nahm damals Bezug auf die grauenhaften Kriegsjahre, die ständigen Bombardierungen mit so vielen Opfern und auf  die Gedächtnisgottesdienste für Menschen aus Fischbach, die irgendwo auf dem Schlachtfeld geblieben sind, die man nicht einmal hier beerdigen konnte. Und er sprach von diesen Jahren rückblickend als „Jahren der Gnade“. Jahren der Gnade, sicher

weil er zu denen sprach, die im Inferno bewahrt wurden. Aber kaum einer hörte doch die Predigt, dessen Familie nicht durch Tod, Vertreibung und Ungewissheit über Vermisste, durch Verlust von Hab und Gut betroffen war. Wie kann man sagen, Jahre der Gnade?

 

So fragen wir ja auch, wenn uns der HERR fern rückt, weil Schlimmes zu ertragen ist. So fragen wir auch, wenn Gebete ungehört zu verhallen scheinen.

 

Selbstkritisch muss ich antworten, weil wir eindimensional im Auge haben, was wir wollen, was wir für gut und heilsam, schön und sinnerfüllend halten, was uns gefällt. So sind auch unsere Gebete. Hilf, dass das gut geht, gib, dass ich gesund werde, hilf dass ich eine gute Note schreibe. Natürlich beten wir so und wenn wir so beten ist es ja auch gut, weil wir von Gott etwas erwarten.

Aber das „DEIN Wille geschehe“ in den Gebeten verkümmert, das alles vertrauensvoll Gott anbefiehlt, um mit Eduard Möricke zu beten: „In DEINE Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt“!

Auch die Stunde eines nichterfüllten Gebetes ist eine Stunde der Gnade. Auch schwere Zeit ist Gnadenzeit.

 

Den Salto mortale des Glaubens muss man erst mal hinbringen. Und doch ist es wahr. Alle Zeit ist Zeit der Gnade, der Kraft Gottes, der Dynamik, die uns bereiten möchte für die Ewigkeit. Und so lesen wir es auch hier in den Worten des Apostels: Kraft Gottes, die selig macht! Oft ohne unser Zutun, meist ohne unser Zutun und oft gegen unser Zutun. Kraft Gottes legt uns das Evangelium ins Herz. Die einfachen Worte der Bibel sie sind power fürs Leben, wenn wir sie aktivieren für uns. Die Kraft, unser Leben von Gott her zu verstehen und zu deuten und unser Leben ihr anzuvertrauen:

„So nimm denn meine Hände und führe mich, bis an mein selig Ende und ewiglich. Wenn ich auch gleich nichts fühle von DEINER Macht, DU führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht.“

 

Ich behaupte mal, wir haben zumeist unser Wohl im Sinn, schon auch das Wohl anderer Menschen. Gott hat mehr, ER hat unser Heil im Sinn. Wir beurteilen Leben in der Spanne von der Geburt zum Tod, das ist Leben, das soll schön und glücklich sein. Und anderen Menschen gönnten wir das auch und helfen dazu. Das kann uns niemand verdenken. Aber es gibt Gedanken darüber hinaus. Gott sieht unser Leben von der Ewigkeit her, dem Platz wo wir endgültig hingehören, bei IHM. Vertrauen wir unserem HERRN, das ist das Einzige, was es zur Aktivierung der Gottes Kraft braucht.

 

Die Kraft Gottes ist am Werk in Dir, eingebettet in uns durch das Evangelium, wie es uns immer und immer wieder begegnet ist. Sie wartet, dass der Zweifler in Dir sie aus dem Dornröschen-schlaf weckt, damit bewusst wird, was wir an ihr haben. Weil wir so leicht übersehen, wie Gott an uns handelt. Im Gottesdienst werden wir daran erinnert, beim Gebet vertrauen wir uns dieser Kraft an. Wir brauchen die stete Aktivierung, und den Dienst der Liebe, der Gottes handeln spüren lässt.

 

Diese Gotteskraft soll heute betont werden. Sie soll uns bewusst sein, sie soll gepflegt und gestärkt werden. Sie ist das Erste, das Gott uns ins Herz legt, SEINE Kraft. “...das Evangelium ist eine Kraft Gottes…“. Hier am Taufstein ist manches Mitglied der Familie Schorr getauft worden, viele Gemeindeglieder aus Fischbach. Mag es woanders gewesen sein, bei der Taufe wurde uns schon als Säugling diese Kraft zugesprochen: „Ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei deinem Namen gerufen, Du bist MEIN.“ Kraft Gottes für uns, als Beistand, Schrittmacher, Halt, Gebor-genheit und Zukunft. Gottes Geschenk für uns. Das Beste, was es gibt, das Beste was Menschen denken können und mehr. Der HERR ist für uns da. Das ist beileibe nichts zum Schämen:

 

Du bist geliebt von Gott, Du kannst Liebe empfinden und schenken.

Du bist angenommen, so wie Du bist.

Du hast immer eine Chance bei Gott, wenn Du IHN verlierst, immer kannst „Du Dich aufmachen und zu Deinem Vater gehen.“

Du wirst gebraucht, bist wichtig für andere.

Du bist getragen.

Du bist geborgen in Gottes Hand.

Dein Leben hat Sinn und ein Ziel, auf das sich alle Hoffnung richtet.

Alles in allem, aus Gottes Hand: Selbstwertgefühl, Geborgenheit, Sinn, Aufgabe und Ziel.

 

Den im Krieg zerstörten Christus in der Decke dieser Kirche, dieser Auferstehungskirche, nahm 1953 Pfarrer Max Schor als Symbol dafür, was passiert, wenn Christus aus unserem Leben herausgebrochen wird und uns somit Halt, Kraft und Ziel des Lebens verloren, uns der verloren geht, der SEINE Kraft in unser Leben legt. Wie einen Blumenstrauß voller Blüten guter Gedanken möchte ich Euch jetzt zum Mitnehmen und Nachdenken Worte der Heiligen Schrift mitgeben, wie sie für Max und Hannchen Schorr Lebenshalt und Lebensprägung waren:

Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein.

(Römer 8, 31)

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben mich scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist unserem HERRN.

(Römer 8, 38f)

Alles, was Ihr tut, das tut von Herzen als dem HERRN und nicht den Menschen. (Kolosser 3,23)

 

So können auch wir „unsere Straße fröhlich“ gehen. (Apg 8, 39)                    Amen!

 

 

 

Dekan Max Schorr (1914-1993)

 

 

 

  

 

 

 

 



Horst D. Stanislaus