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150 Jahre Diakonie

 

Gehe hin und tue desgleichen

 

Liebe Wendelsteiner Gemeinde,

 

150 Jahre Diakonie in Wendelstein, das ist schon ein Datum. Vor 150 Jahren begann die Neuendettelsauer Diakonisse Luise Ziegler  ihre Arbeit mit einer Kinderbewahranstalt, so sagte man damals. Seither zieht sich der Strom des Segens organisierter diakonischer Arbeit durch das Leben dieser Gemeinde. Andere Namen gehören dazu S. Julie Mielich, S. Babette Aurich, beide fest ins Gedächtnis der sich erinnernden Gemeinde eingeprägt. Wolfgang Kelsch als Bürgermeister und Pfarrer Friedrich Dietsch haben dann miteinander den heutigen Rahmen geschaffen für ein breites Spektrum diakonischer Arbeit, gestaltet von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in all den Jahren bis heute die Arbeit durch ihren Einsatz, ihre Liebe, als diakonische Arbeit erkennen lassen.

 

Was Diakonie ist und meint und sein soll erkennt man am besten am Quellpunkt der Diakonie, die uns Jesus in der altvertrauten Geschichte vom Barmherzigen Samariter und im vorhin gehörten Gleichnis vom Weltgericht ins Herz schreibt:

ein Mensch in Not, einer sieht es und hilft. Es gelten nicht die Umstände, es gilt nicht, um wen es sich handelt, es zählt nicht die Angst, selbst in Gefahr zu kommen, es gilt kein Vorbeigehen - es zählt nur die Not, die nach Hilfe schreit und die Hilfe, das einfache Modell der Nächstenliebe.

 

So galt es immer, das schlichte Ehepaar Not und Hilfe. So war es auch bei den Vätern und Müttern der Inneren Mission des 19. Jahrhunderts, als Johann Hinrich Wicherns Ruf an die Kirche: „Die Liebe gehört Dir wie der Glaube“ neu an die Aufgabe der Nächstenliebe als kirchliche Aufgabe im Sinne Jesu erinnerte. Das war seinerzeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Diese Männer und Frauen Wilhelm Löhe, Johann Hinrich Wichern, Friedrich Bodelschwingh, Friederike Fliedner und auch Florence Nightingale und Henri Dunant anderswo, haben nicht den Finger an die Nase gelegt und sich gefragt, „was wäre denn dran?“ Nein, sie waren, oft im Unterschied zum mainstream der Menschen in und außerhalb der Kirche, sensibel für individuelle, aber auch gesellschaftliche Notlagen und versuchten, beherzt zu handeln, die heutige Diakonie und Organisationen anderer Träger entstanden.

 

Löhe sah die Not unversorgter Kranker, die Not von Menschen ohne Bildungschancen, insbesondere bei Frauen. Und er baute in Neuendettelsau die Mutterhausdiakonie auf, bildete Schwestern aus, die in die Gemeinden gingen und die Kranken pflegten und Kinder in Kinderschulen sammelten. Wir können uns heute kaum mehr vorstellen in unserem Sozialstaat, dass dies einmal Felder der Not waren, wo es bei uns allenfalls um Verbesserungen bewährter Handlungsfelder geht.

 

In diesem guten Geist kam Luise Ziegler als Neuendettelsauer Diakonisse nach Wendelstein. Sie betreute die Kinder, bewahrte sie auf im besten Sinne des Wortes und vermittelte Bildung und Glauben. Später kam die Gemeindekrankenpflege als Aufgabe dazu, neue Schwestern kamen.

 

Heute sind manche Aufgabengebiete der Diakonie dazugekommen. Das Muster ist immer das gleiche. Es entsteht ein Bedarf in einem Gemeinwesen und Diakonie muss sich fragen lassen, will, soll, muss, kann ich meinen Beitrag im Namen Jesu leisten. Ich erinnere mich noch, als in meiner Nürnberger Zeit Eltern autistischer Kinder zu mir kamen, die händeringend um Hilfe und Betreuung für ihre Kinder baten, weil es damals keine speziellen Hilfsangebote gab. Eine Ambulanz und eine Tagesstätte konnten entstehen, um den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu helfen und den belasteten Eltern Entlastung zu ermöglichen. Morgen können es neue Aufgaben sein, die individuelle Notlagen oder gesellschaftliche Fragen aufwerfen.

 

Das, was aus der Geschichte des Anfangs alles geworden ist und möglich wurde kann man heute mit froher, vielleicht ein wenig stolzer Genugtuung betrachten. Unsere Diakonie.

 

Aber da bleibt ein Problem. Die moderne Hilfe der Diakonie  hat Strukturen geschaffen, Institutionen, die Hilfe professionell anbieten können und müssen. Manche Not lässt sich nicht mehr gutgemeint allein mit einem guten Herzen lindern. Und so wird die Hilfe allerorten dahin delegiert, wo professionelle Hilfe geschieht. Das ist natürlich gut, aber es bleibt ein Problem.

 

Leicht gerät dabei nämlich außer Sicht, dass Diakonie ein persönliches Empfinden ist: Ich sehe eine Not und ich helfe.

 

Also, was ist mit mir, mit Dir.

 

Du, als Christ brauchst ein liebevolles Herz, kein kaltes Herz. Du brauchst ein liebevolles Herz. Das ist das Herzstück Deines Glaubens. Das Wegdelegieren der Hilfe darf Dich nicht draußen vor lassen. Der Auftrag des Glaubens, liebevoll zu leben und zu handeln, wird nicht einfach durch den Hinweis auf die Zuständigkeit anderer abgeschaltet. Der Aufruf: „Die Liebe gehört Dir wie der Glaube“, damals von Wichern an die Kirche gerichtet, ist heute ein Weckruf an Dich in Deinem Glauben, der ohne Liebe verkümmert.

 

Die Liebe ist das Innerste unseres Glaubens. „Nur die Liebe lässt uns leben“ hieß es einmal in einem Schlager. Was wir sind, sind wir durch geschenkte, empfangene Liebe der Menschen, die für uns da waren und sind. Und in allem begegnet uns die geschenkte Liebe Gottes, die uns Jesus ins Herz gelegt hat. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt auch davon, wie Jesus mit den Menschen umgeht, es ist ein Gleichnis für Gottes Handeln an uns, der für uns da ist und nie an uns vorbeigeht. Dann ist es ein Ruf, es Jesus gleich zu tun. „Gehe hin und tue desgleichen“.

 

Das ist das Großartige: Jesus fragt nicht „warum?“, nicht, „wer bist Du?“, nicht „was hast Du getan?“, nicht „hast Du auch das richtige Gesangbuch?“, nicht „Welche Haut, welche Nationalität hast Du?“

Nein, ER sagt: „Komm her zu mir, Du Mühseliger und Beladener…“ ER sagt: „ MEINE Kraft ist in den Schwachen mächtig“.

 

Liebe ist Nehmen und Geben. Es ist eine zutreffende Volksweisheit, dass Liebe das Einzige ist, was mehr wird, wenn man sie verschenkt. Die Liebe, die wir empfangen haben erinnert jeden Tag daran, innerlich zu sagen: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“

 

Der Weg zum Vater ist aber immer auch der Weg, andere Menschen wahrzunehmen. Es gibt die schöne Geschichte vom vierten König, der mit den anderen Dreien, die wir aus der Weihnachtsgeschichte kennen, aufgebrochen ist, um das Kind in der Krippe als HERRN und Heiland zu sehen. Aber er kommt einfach nicht voran, da muss er helfen und dort. Mal geht es um Essen und Kleidung, mal um die Rettung eines Galeerensklaven, an dessen Stelle er tritt. So ist er hoffnungslos zu spät dran und als er schließlich ankommt und den Heiland treffen will, steht er vor dessen Kreuz, traurig und resigniert. Aber der HERR sagt zu ihm: „Du warst dauernd bei MIR und ICH bei Dir“ und ER erzählt ihm von all den Begegnungen der Hilfe: „Was Du getan hast einem unter diesen Geringsten MEINER Brüder und Schwestern, das hast Du MIR getan.“

 

Die 150 Jahre der Diakonie in Wendelstein sind stellvertretend für mich geleisteter Christusdienst der Liebe für andere Menschen.

Und diese 150 Jahre fragen mich und Dich heute. Dass das nur ja nicht vergessen wird. Diakonie ist meins, meine Sache als Christ.

Was ich empfangen habe an liebevoller Zuwendung Gottes, DER mich annimmt, mir vergibt, mir Weggeleit gibt, Mut und Hoffnung, DER mich segnet und im Leben bereitet für die Ewigkeit, was ich also empfangen habe und Tag für Tag neu geschenkt bekomme, darf von mir aus weitergehen zu anderen Menschen.

 

HERR, was willst DU, dass ich tun soll? Das soll heute die Jubiläumsfrage sein.

 

    Eine Antwort könnte sein, einen Beruf in der Diakonie zu ergreifen. Es ist bekannt, dass es große Engpässe in den erziehenden und pflegenden Berufen gibt. Wer soll diese Aufgabe leisten, wenn nicht die Generation derer, die jetzt ins Berufsleben gehen oder sich beruflich neu orientieren. Keiner mag sich vorstellen, dass pflegerische Arbeiten zukünftig von Robotern übernommen werden müssen. Menschlichkeit bleibt nur erhalten, wenn Menschen für Menschen da sind. Dazu gehört auch, sich öffentlich stark zu machen, wenn es um Bezahlung, Ausbildung und Wertschätzung dieser Berufe geht. Es kann doch nicht sein, dass der Umgang mit Sachen besser bezahlt wird als der Umgang mit Menschen. „Komm herüber und hilf uns“ rufen Kinder und Pflegebedürftige und viele andere. Sie könnten Dich meinen.

     Vieles in unserer arbeitsteiligen, sozialen Gesellschaft wird durch institutionalisierte Hilfsangebot geleistet, ich habe es schon gesagt. Rettungsdienste sind heute barmherzige Samariter, ebenso wie die Feuerwehr, Krankenhäuser, Heime, Beratungsstellen, Tagestätten, um nur einige zu nennen.

Es ist aber ein Irrtum zu glauben, bloß weil es diese Institutionen gibt,  dass das alles locker und wunderbar aus Steuergeldern finanziert werden kann. Mein Christusdienst kann sein, nicht nur ein offenes Herz, sondern auch einen offenen Geldbeutel zu haben für die bewundernswerte Arbeit, die dort geleistet wird. Man ist erschüttert, welch geringen Spielraum für die Menschlichkeit heutzutage etwa das Diktat der Pflegesätze für die Pflegeinrichtungen lässt, wo in Minuten gerechnet wird, welche Pflegezeiten für einzelne Handreichungen in Anschlag gebracht werden können. Da muss man auch politisch dran, ein Grund für die Diakonieoberen da laut aufzubegehren und die heute Frischgewählten in diesen wichtigen Fragen der Menschlichkeit vor sich her zu treiben.

      Und, das ei nicht vergessen, immer wieder überfällt Not plötzlich uns alle, wenn wir von Katastrophen hören, von Hunger und Flüchtlingselend. Da wollen wir uns erinnern lassen, der Samariterdienst ist der Griff zum Überweisungsträger. Nein, das ist nicht platt und altbekannt, gar langweilige, allfällige Predigtleier. Es ist je und je mit jedem Bild aktuell und neu als Anfrage an Dich und mich und unseren Glauben, wie er in der Liebe tätig wird. Dazu gehört der Dienst, die Schreie der Not, die uns oft stumm erreichen, zu unseren Gebeten werden zu lassen. Der Blick der Liebe Gottes hat einen weltweiten Horizont, wie könnte es anders sein und wir sind dabei.

      Christliches Handeln fragt nach dem Ehrenamt. Auch das ist beileibe nicht neu. Zeit zu haben für andere ist heute ein besonderes Gut. Natürlich kann das auch seinen Weg zum Engagement in den verschiedenen Einrichtungen der Diakonie führen. Dort sich einzusetzen für die persönliche Betreuung von alten und kranken Menschen, Kindern, Menschen mit Problemen oder einer Behinderung. Das Feld ist weit. Scheuen wir uns nicht, unseren Dienst anzubieten, es ist Christusdienst. Auch hier wird der Ruf lauter, wenn wir ihn nur hören möchten: „Komm herüber und hilf uns“.

Vielleicht kommt der Ruf auch aus der Nachbarschaft, ein Ruf aus der Einsamkeit, die jedes Alter haben kann, ein Ruf aus der Hilflosigkeit, Besorgungen nicht erledigen zu können oder sich mit nötigem Papierkram nicht auszukennen, der Ruf der Hilflosigkeit am Fahrkarten-automaten der Verkehrsbetriebe, der Ruf, die deutsche Sprache lernen zu wollen wie Menschen mit dem sogenannten Migrationshintergrund. Es kostet nicht viel, eigentlich nur den sensiblen, liebevollen Blick auf die Menschen um uns herum, auf Veränderungen, die wir an anderen beobachten und eine ausgestreckte Hand. „Christus hat keine Hände als unsere Hände, SEINE Arbeit zu tun und keine Füsse als unsere Füsse…“

 

Liebe Gemeinde, 150 Jahre erinnern an ein Datum, es ist ein riesiger Zeitraum des Segens und der Gnade über Generationen hinweg. Wir danken von Herzen all den Menschen, die sich in den Dienst der Nächstenliebe gestellt haben und stellen. Wir danken Gott dem HERRN, der uns mit SEINER Liebe beschenkt und SEINE Liebe unter Menschen wirksam werden lässt.

 

Jeder kann es spüren, Tag für Tag in seinem Leben:

Nimm Gottes Liebe an,

Du brauchst Dich nicht allein zu müh’n,

denn SEINE Liebe kann

in Deinem Leben Kreise ziehen.

 

Vor 150 Jahren kam Diakonisse Luise Ziegler nach Wendelstein mit ihrer Motivation im Herzen, die der Diakonissenspruch Wilhelm Löhes zum Ausdruck bringt:

„Was will ich?

Dienen will ich,

dem HERRN in SEINEN Elenden und Armen…“

 

Wichtige Institutionen entstanden, ein Rahmen für den Dienst der Liebe, für den wir gar nicht genug dankbar sein können.

 

Heute ist es die Antwort des HERRN, die uns begegnet auf unsere Frage: „Was willst DU, dass ich tun soll?“

ER legt uns die Antwort vor die Füße, vor die Hände, vor die Augen: Menschen, die uns brauchen.

ER sagt im Blick auf den Samariterdienst: „Gehe hin und tue desgleichen“.

ER braucht Augen, die sehen, Deine Augen

Ohren, die hören, Deine Ohren

Sinne, die wach sind, Deine Sinne

Hände, die zupacken und geben, Deine Hände

Füsse, die hingehen, Deine Füße

und -

ein Herz voller Liebe.

 

 

 

 

 

Amen!

 

 

 

 



Horst D. Stanislaus